Freier Mensch und Glaube, wie paßt das zusammen?
12. November 2010 Hinterlasse einen Kommentar
Vor einiger Zeit bin ich auf einen geistlichen Satz von Johan Christoph Bach gestoßen: http://www1.cpdl.org/wiki/images/0/00/J-C_Bach_-_F%C3%BCrchte_dich_nicht.pdf. Der Text des Chores lautet:
Fürchte Dich nicht, denn ich hab dich erlöst,
fürchte Dich nicht, ich hab dich bei deinem Namen gerufen,
du bist mein,
wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Darüber singt der Sopran:
O Jesu du, mein Hilf und Ruh, ich bitte dich mit Tränen,
hilf, daß ich mich bis ins Grab nach dir möge sehnen.
Die Zeilen „du bist mein“ und „wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein“ wiederholen sich im Gesang des Chores immer wieder abwechselnd, die Zeile „du bist mein“ führt auf den Schlußakkord.
Ich frage mich, was diese Motette und dieser Text soll. Soll das Stück auf den Hörer jetzt tröstend wirken, dieser Gott bekennt sich zu Dir? Oder wirkt es einfach nur beängstigend, wie aus dem Handbuch für Selbstmordattentäter? Geh mit mir, ich nehm Dich ins Paradies mit, Du bekommst ein paar von den Jungfrauen ab, die mir versprochen sind? Offensichtlich soll ich auch nicht darüber nachdenken, denn „du bist mein“, oder auf den Hörer bezogen, ich bin sein?
Nein, dieses Bild wird noch auf die Spitze getrieben durch das, was der Sopran darübersingt. Dessen Text trägt den Zweifel am Glauben des Bittenden in sich, der Zweifel, der zur Gottlosigkeit und damit zum Verlust des Seelenheils führen kann. Das ist unbedingt zu vermeiden, denn die Gottlosen sind ja schließlich zu den Höllenqualen verdammt und werden nicht an der Seite des Herrn ins Paradies einziehen. Deshalb muß man sich dem totalen Anspruch Jesu selbst ausliefern, der vom Chor mit den oft wiederholten Worten „du bist mein“ ausgedrückt wird.
Für mich gibt es eine einzige mögliche Reaktion auf diese beiden Dinge: Ich widerspreche diesem Anspruch. Ein freier Mensch hat keinen Herrn, wie ihn ein Sklave hat. Und auch noch darum zu betteln, daß ich ein Sklave dieses Herrn sein darf, wie es die Sopranstimme des Stückes tut, das kommt mir schon gar nicht in die Tüte.